Covid-19: Könnt Ihr bitte mal für fünf Minuten aufhören, Euch durch Sarkasmus als souverän zu inszenieren? Danke.

Ich habe nun schon von einigen bei Facebook und Twitter Postings darüber gelesen, was sie an der ganzen Corona-Sache am meisten nervt, hier kommt meines:

Am meisten nerven mich diejenigen Äußerungen, in denen ich den Versuch vermute, sich in einer vor allem durch Unsicherheit und Ambivalenz gekennzeichneten Situation irgendwie doch souverän zu fühlen.

In Wirklichkeit kann ja niemand wissen, was kommt, und deshalb auch nicht wirklich, welches Handeln jetzt rational wäre – weder im Persönlichen noch im Staatlichen.

Wenn es mit dem Virus schlimm kommt, kann es passieren, dass das Gesundheitssystem überfordert ist, sodass zahlreiche Patient_innen, die intensivmedizinische Betreuung bräuchten, diese nicht bekommen und daran sterben. Das gilt dann sowohl für Covid-19-Patient_innen selbst als auch für diejenigen, die auf eine Intensivstation müssten, das aber nicht können, weil das System mit Covid-19-Fällen ausgelastet ist. Es ist ja nicht so, dass bislang Überkapazitäten in der Krankenpflege bestünden, die auf ihre Auslastung warteten.

Auf der anderen Seite können auch drastische Gegenmaßnahmen sehr schnell sehr viel menschliches Leid produzieren und Menschenleben kosten. Die moderne Gesellschaft ist durch eine Vielzahl ineinandergreifender komplexer Abläufe gekennzeichnet, auf die wir alle in unserem Leben angewiesen sind. Wenn da zu viel durcheinandergebracht wird, können zahlreiche Menschen nicht das bekommen, was sie zum Überleben brauchen.

Um es persönlich zu machen: In meiner nächsten Verwandtschaft gibt es eine Person, die eine Covid-19-Infektion mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nicht überstehen würde (68 Jahre, diverse Vorerkankungen), die aber auch auf einen stetigen Nachschub an künstlicher Ernährung angewiesen ist. Zu wenig „Panik“ und sie könnte an einer Lungenentzündung sterben, zu viel „Panik“ und sie könnte verhungern. Während sie und ihr Umfeld (z.B. ich) gegen Grippe geimpft sind, ist das bei dem neuen Virus nicht der Fall.

Darüber hinaus verursachen auch die in meiner Timeline oft belächelten „wirtschaftliche Folgen“ unmittelbar Leid und vermittelt auch Todesfälle. Wer in Deutschland mit legalem Aufenthaltsstatus den Arbeitsplatz verliert, fällt im schlimmsten Falle auf Hartz IV. Das ist schlimm genug und mir fehlt jedes das Verständnis dafür, wenn man sich darüber lustig macht. Wenn etwa viele Menschen, die bislang im Veranstaltungsgeschäft ein ordentliches Einkommen hatten, nun in die Grundsicherung fallen, ist das ein Problem, das menschliches Leid in erheblichem Ausmaß verursacht, und deshalb einfach nicht lustig. Weiter unten in den Produktions-, Liefer- und Pflegeketten, also etwa in Südosteuropa könnte es weitaus schlimmer ausgehen. Wenn diejenigen in Rumänien und Bulgarien, die auf Arbeit in Deutschland angewiesen sind, diese in einer Rezessionssituation nicht mehr bekommen, können da sehr schnell die Mittel fehlen, um Lebensnotwendiges zu finanzieren.

Ähnliche Ambivalenzen gibt es auch bei verschiedenen Formen des „Hamsterns“. Es ist nicht unrealistisch, dass viele Personen in vielen Ländern in absehbarer Zeit zwei Wochen zu Hause bleiben müssen. Zwar ist es bislang (so weit ich das sehen kann) überall gelungen, die Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Aber leichter ist es, wenn viele Leute eben Toilettenpapier und Grundnahrungsmittel für zwei Wochen haben. Wenn viele sich darum kümmern, solange alles problemlos verfügbar ist und die Supermärkte in Tagesfrist wieder bestückt werden können, ist das durchaus rational (die Behörden sagen das ja auch im Allgemeinen). Wenn diejenigen, die einfach nur Klopapier brauchen, das aber wegen des „Hamsterns“ nicht mehr bekommen, ist es doof. Ebenso, wenn die Nahrungsmittel dann einfach wegrotten, weil sie doch nicht gebraucht werden. Schlimm ist es, wenn diejenigen, die wirklich Desinfektionsmittel brauchen, das nicht bekommen, weil diejenigen, die es nicht brauchen, es verschwenden. Kurz: Es ist nicht so einfach.

Diese unsichere und ambivalente Situation könnte man einfach mal anerkennen. Jens Spahn schafft das zum Beispiel (gut, er wird ja auch dafür bezahlt). Die Hälfte meiner Timeline schafft es nicht. Vielmehr sehe ich hier alle möglichen Äußerungen, mit denen man die Unsicherheit verdrängt, indem irgendein eindeutiger Take auf die Situation oder einen Aspekt derselben festgeschrieben und täglich in X Postings wiederholt wird. Am unangenehmsten ist, das wenn es in einem sarkastischen Tonfall passiert: „Haha, da machen sich Leute Sorgen um die Wirtschaft.“